Das Neiße Filmfestival widmet jedes Jahr eine besondere Programmreihe einem Schwerpunktthema. Der Fokus der 20. Festivalausgabe beschäftigt sich unter dem Titel "Post Soviet Union" mit dem gesellschaftlichen und politischen Nachlass der ehemaligen Sowjetunion und blickt auf die Auswirkungen des Zusammenfalls in den ehemaligen Sowjetrepubliken bis heute. Russlands brutaler Angriffskrieg auf die Ukraine, der seit über einem Jahr andauert und auch andere postsowjetische Länder wie Litauen, Estland, Lettland, Moldau, Kasachstan oder Georgien in ihrer staatlichen und kulturellen Identität bedroht, macht dieses Thema derzeit noch dringlicher und aktueller.
Die Auflösung der Sowjetunion am 26. Dezember 1991 bedeutete nicht nur in den ehemaligen Sowjetstaaten das Ende einer prägenden Ära direkter kommunistischer Herrschaft in all ihren Formen. Die Spiel- und Dokumentarfilme der Reihe spiegeln unterschiedlichste Aspekte des Lebens, ob politisch, wirtschaftlich oder sozial – von intellektuellen Auseinandersetzungen bis zu konkreten Bedingungen des Alltagslebens. Der geopolitische Radius des ehemals größten Flächenstaates der Welt bildet dabei die thematische Klammer für ein vielstimmiges, cineastisches Kaleidoskop von Erzählungen.
Der autobiografische Spielfilm "Janvaris" (Januar) aus Lettland erzählt über Träume und Ängste junger Filmemacher im politischen Umbruch und zugleich eine Geschichte über Familien und Freundschaften, über Kunst, Liebe und Krieg. Im Dokumentarfilm "Grozny Blues" sind die Folgen vergangener Kriege, unter denen insbesondere junge Frauen leiden, in Grozny immer noch sichtbar und spürbar. Der Film des Schweizers Nicola Bellucci verknüpft Geschichten von vier Frauen und dokumentiert ihren Alltag. "Mandariinid" (Mandarinen) ist eine spannende, gut erzählte Reflexion über den Bürgerkrieg zwischen Georgien und Abchasien 1992. Der Spielfilm stellt die Frage: Was passiert, wenn aus Nachbarn in einem Krieg Feinde werden und Konflikte bis ins Private reichen? In "Pasienio Paukščiai" (Grenzvögel) kennen Zugvögel keine Grenzen. Der Dokumentarfilm begleitet ein Forschungsprojekt, das Ornithologen in der Region zwischen dem russischen Kaliningrad und Litauen starten - frei von politischen Konflikten, dafür mit skurrilen Momenten. Sarmatische Ufer, baltische Völker, deutsche Historie: Der Dokumentarfilm "Kurische Nehrung" ist eine bewegte Geschichte des Miteinanders, die Volker Koepp in ganz eigenen Bildern zu zeigen und zu erzählen vermag. Sergey Dvortsevoy porträtiert in "Ayka" seine Protagonistin stellvertretend für all die Vergessenen "ganz unten" und deren erbarmungslose Normalität. Dabei kommt die Kamera Ayka so nah, als wollte sie ihr visuellen Trost spenden, und schafft so ein Filmerlebnis, das dem Betrachter alles abverlangt. Für den Dokumentarfilm "W Ukrainie" (In der Ukraine) schaffen zwei Regisseure auf ihrer Ukraine-Reise mit realen Alltagsszenen einen anderen Zugang zum Krieg.
Die Fokus-Reihe "Post Soviet Union" ist ab dem 24. Mai im Programm des 20. Neiße Filmfestivals zu sehen. Alle Filme gibt es hier auf einen Blick.
Ausstellung zeigt „Postsowjetische Lebenswelten“
Bereits ab Samstag, den 21. Mai ist dazu im Kulturcafé Alte Bäckerei und im Kunstbauerkino in Großhennersdorf die Ausstellung "Postsowjetische Lebenswelten" der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu sehen. Das Ende der Sowjetunion im Dezember 1991 und die vielschichtigen Folgen sind der Ausgangspunkt der Schau, die sich dem historischen Wandel widmet, den die UdSSR-Nachfolgestaaten seitdem durchlaufen haben. Geografisch reicht der Blick von Osteuropa über den Kaukasus bis nach Zentralasien. Die Ausstellung ist ein sichtbares Zeitdokument über den sozialen wie menschlichen Ausnahmezustand eines ganzen Jahrzehnts und zeigt, wie mit Geschichte oder Religion „neue“ Politik gemacht wird, wie der demokratische Aufbruch gelang oder erste Autokratien entstanden. Thematisiert werden auch Digitalisierung, Medien und Öffentlichkeit, Konsum und Popkultur, ökologische Altlasten oder das Thema Emanzipation.
Pussy Riot live in Görlitz
Weiterer Höhepunkt im Festivalprogramm ist der Auftritt der russischen Band Pussy Riot, die am 27. Mai im Anschluss an die Preisverleihung Open Air am Görlitzer Kühlhaus zu erleben ist. Das feministische Künstlerinnen-Kollektiv zählt mittlerweile zu den bekanntesten kreativen Ensembles in Russland – und zu den kritischsten. Die außergewöhnliche Performance der Gruppe ist laut und stets verbunden mit einem politisch-musikalisch-brachialen Kunstereignis, denn ihre Bekenntnisse, Forderungen und Überzeugungen sollen gehört werden. Das Konzert mit Pussy Riot am Kühlhaus Görlitz (Am Bahnhof Weinhübel 2) startet um 20:30 Uhr. Der Einlass beginnt um 19:30 Uhr. Tickets gibt es im Vorverkauf für 25,- Euro online zzgl. Gebühren auf der Festival-Homepage oder unter www.tixforgigs.com. Der Eintritt an der Abendkasse kostet 30,- Euro bzw. 25,- Euro ermäßigt.
Passendes Bildmaterial zur Fokus-Reihe "Post Soviet Union" gibt es hier via Dropbox:
https://www.dropbox.com/sh/a7qgx76qj5lvt42/AACNu_6lsMM_TIhBb8WN9KP0a?dl=0
Gelebtes Europa in der Dreiländerregion an der Neiße
Seit 2004 präsentiert das Neiße Filmfestival jährlich im Mai in der Dreiländerregion zwischen Deutschland, Polen und Tschechien aktuelle Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme. Was mit der Idee begann, Filme in drei Ländern zu zeigen, hat sich zu einer kulturellen Brücke für Filmfans aus den drei Nachbarländern entwickelt und ist inzwischen wichtiger Treffpunkt für nationale und internationale Filmschaffende und Vertreter*innen der Filmwirtschaft. Besonders und einzigartig am Neiße Filmfestival ist sein genreübergreifender und trinationaler Charakter mit Filmvorführungen an rund zwanzig Spielorten entlang der Neiße. Das länderübergreifende Programm bietet neben drei Wettbewerben und verschiedenen Filmreihen, die den Blick auf Bezüge und Beziehungen zwischen den Völkern Osteuropas und auf die jeweilige filmische Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart eröffnen, auch Veranstaltungen wie Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Partys.
Schirmherren des 20. Neiße Filmfestivals sind Michael Kretschmer, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Martin Půta, Hauptmann der Region Liberec, und Rafał Gronicz, Bürgermeister von Zgorzelec.
Das 20. Neiße Filmfestival wird gefördert durch und mit Mitteln von: Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien, Landkreis Görlitz - Wokrjes Zhorjelc, Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien, Mitteldeutsche Medienförderung, Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Liberecký kraj. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.